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"Einfach zum Nachdenken“


Der Raum dazwischen ist nicht Leere. Er ist das Unsichtbare, das trägt, verbindet und Bedeutung verleiht. Wir schauen in den Himmel und sehen Sterne, Planeten, Galaxien – helle Punkte im Dunkel. Und doch: Ohne das Dunkel dazwischen gäbe es kein Bild, keine Struktur, kein Staunen. Der Raum dazwischen macht erst sichtbar, was uns auffällt. Er ist nicht Abwesenheit, sondern Bedingung.


So ist es auch im Inneren unseres Körpers. Zellen, Organe, Moleküle – all das lebt und wirkt, aber ihr Zusammenspiel entsteht erst durch die Zwischenräume, durch das, was trennt und gleichzeitig verbindet. Der Abstand zwischen Zellkern und Zellwand, zwischen einem Molekül und dem nächsten, ist nicht bloß Leere. Es ist der Resonanzraum, in dem Austausch möglich wird: Energie fließt, Signale wandern, das Leben selbst entsteht.


Philosophisch betrachtet ist der Raum dazwischen das, was uns lehrt, dass Sein nicht nur aus „Etwas“ besteht, sondern ebenso aus „Nicht-Etwas“. Zwischen zwei Worten liegt die Pause, die das Gesagte verständlich macht. Zwischen Geburt und Tod liegt das Leben – und dieses Leben ist nicht die Summe einzelner Ereignisse, sondern das Gewebe, das aus unzähligen Zwischenräumen gewoben ist.


Und auch in menschlichen Beziehungen zeigt sich die Bedeutung des Raumes dazwischen. Vertrauen ist die Wurzel, doch der Raum ist die Krone. Wer liebt, muss nicht verschmelzen. Wer wirklich liebt, gibt dem Anderen den Raum, zu atmen, zu wachsen, zu sein. Nur so entsteht eine Begegnung, die nicht erdrückt, sondern trägt. Der Raum dazwischen ist der stille Ort, in dem Nähe entsteht, ohne die Freiheit zu verlieren.


Dasselbe gilt für unseren Körper. In Übungen wie Qigong oder im achtsamen Dehnen erfahren wir, dass Energie nur dann frei fließen kann, wenn der Raum dazwischen wieder geöffnet wird. Verklebte Faszien speichern oft verdrängte Emotionen – Erinnerungen, Spannungen, Verletzungen, die keinen Ausdruck fanden. Werden diese Schichten gelöst, sei es durch Bewegung, Atem oder sanftes Auseinanderziehen, so dürfen diese Emotionen an die Oberfläche treten und sich verabschieden. Mit jedem Loslassen entsteht neuer Raum – nicht nur im Gewebe, sondern auch im Empfinden. Muskeln, Strukturen, Faszien und Bindegewebe gewinnen ihre Elastizität zurück, und mit ihr kehrt das Gefühl von Lebendigkeit, von Freiheit ein.


Der Raum dazwischen ist also nicht Nebensache, sondern die Grundlage aller Erscheinung. Er erinnert uns daran, dass wir nicht nur in einer Welt der Dinge leben, sondern in einer Welt der Beziehungen – zwischen Stern und Stern, zwischen Mensch und Mensch, zwischen Körper und Seele.


Der Stern braucht das Dunkel, um zu leuchten.

Die Zelle braucht den Zwischenraum, um zu wirken.

Der Körper braucht den Raum dazwischen, um heil zu werden.

Der Mensch braucht ihn, um zu lieben.

Und wir alle brauchen ihn, um überhaupt wahrzunehmen, dass wir leben.

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